ohnerassismusDie Durchsage von Schulleiter Johannes Heintges anlässlich der furchtbaren Ereignisse in Hanau findet sich im Artikel.

Wenn aus Hass und Rassismus Verbrechen werden – wir trauern um die Opfer des Terroranschlags in Hanau und kämpfen gegen Rassismus!

Erneut gedenken wir – die Gesamtschule Kierspe – der Opfer eines grausamen Terroranschlags.
Diesmal nicht in Frankreich oder Neuseeland, sondern in Deutschland, in Hessen, nicht weit von uns
entfernt. Am Mittwoch vor Weiberfastnacht sind in Hanau neun Menschen ermordet worden – weil
sie einen Migrationshintergrund haben und eine Shisha-Bar besucht haben.
Ferhat Unvar wurde 22 Jahre alt. Er hatte kurdische Wurzeln, war in Deutschland geboren worden
und ist hier aufgewachsen. Er hatte eine Ausbildung als Heizungs- und Gasinstallateur abgeschlossen
und war gerade dabei, einen eigenen Betrieb aufzubauen. Ferhat wollte am Mittwoch mit Freunden
feiern.
Mercedes Kierpacz wurde 35 Jahre alt, besaß als Roma die deutsche Staatsangehörigkeit. Ihre zwei
Kinder haben nun keine Mama mehr. Am Mittwochabend hat sie in einer der Bars gearbeitet.
Sedat Gürbüz wurde 30 Jahre alt. Er hatte einen türkischen Migrationshintergrund und war der
Betreiber einer der beiden Shisha-Bars. Er wird von seinen Freunden als besonders friedfertiger
Mensch beschrieben.
Gökhan Gültekin, genannt Gogo, wurde 37 Jahre alt. Er stammte aus einer kurdischen Familie,
arbeitete als Maurer und Kellner, war vielen Menschen in Hanau bestens bekannt und galt als ein
besonders beliebter und geselliger Mensch.
Hamza Kurtović wurde 20 Jahre alt. Schon seine Eltern sind genauso wie Hamza selbst in Deutschland
geboren worden und hier aufgewachsen. Seine Großeltern stammen ursprünglich aus Bosnien.
Kalojan Velkov wurde 33 Jahre alt. Er war vor 2 Jahren aus Bulgarien nach Deutschland
eingewandert, um seine Familie in Bulgarien finanziell zu unterstützen. Sein 7 Jahre alter Sohn hat
nun keinen Papa mehr.
Vili Viorel Păun wurde 23 Jahre alt, stammte aus Rumänien und lebte seit 7 Jahren in Deutschland.
Die Familie war nach Deutschland gekommen, in der Hoffnung, dass seine erkrankte Mutter hier
wieder gesund werden könne.
Said Nesar Hashemi wurde 19 Jahre alt. Er stammte aus Hanau selbst, war dort zur Schule gegangen,
hatte seine Ausbildung abgeschlossen und hier gearbeitet. Sein 23 Jahre alter Bruder hat das
Attentat schwerverletzt überlebt.
Fatih Saraçoğlu wurde 34 Jahre alt. Er war gerade aus Regensburg nach Hanau gezogen, um dort als
Kammerjäger zu arbeiten.

Der psychisch schwer kranke Täter, der nach der Tat noch seine Mutter und sich selbst erschossen
hat, kannte seine Opfer vermutlich nicht persönlich. Sie wurden ermordet, weil sie in Deutschland
leben, einen Migrationshintergrund haben und an diesem Abend zufällig am falschen Ort gewesen
sind. Die meisten von ihnen haben so gelebt wie Millionen andere, die hier in Deutschland leben und
einen irgendwie gearteten Migrationshintergrund haben. Shisha-Bars gibt es in jeder Stadt. Die Opfer
hätten genauso gut auch hier in Kierspe, Meinerzhagen oder Halver leben können. Als Kinder und
Jugendliche hätten sie auch ohne Weiteres Schüler und Schülerinnen unserer Schule sein können.
Wir sind stolz, eine Schule ohne Rassismus zu sein. An unserer Schule leben Schüler*innen und
Lehrer*innen mit vielleicht 30 unterschiedlichen Mutter- oder Vatersprachen. Und wir erleben es
doch, Tag für Tag: Es funktioniert und es ist gut so. Klar, auch wir haben unsere Konflikte und sind uns
einander immer mal fremd. Aber im Großen und Ganzen ist es für uns alle selbstverständlich, dass
wir friedlich und fröhlich miteinander zusammenleben. – Doch Morde wie in Hanau und hohe
Wahlergebnisse für rechtsradikale Parteien stellen dies immer wieder infrage. Das macht uns nicht
nur traurig, sondern auch wütend. Wir möchten, dass ihr – liebe Schüler*innen mit
Migrationshintergrund – und ihr – liebe Kolleg*innen mit Migrationshintergrund – wisst, dass ihr zu
uns gehört wie jeder andere auch – dass ihr wisst: Wir freuen uns, dass ihr bei uns seid! Dass ihr
wisst: Wir möchten, dass ihr in unserem Land keine Angst haben müsst, nur weil ihr in irgendeiner
Generation eingewandert seid – so wie übrigens im Laufe der Jahrhunderte fast alle anderen
Deutschen auch. Es macht uns wütend, es empört uns, dass wir so etwas überhaupt sagen müssen.
Wir alle, denke ich, sind fassungslos und entsetzt. Wir fragen uns: „Wie kann man so etwas tun?“ Ja,
der Attentäter war psychisch krank; was übrigens nicht heißt, dass er nicht zurechnungsfähig war.
Aber es wurde ihm auch leicht gemacht, seine Wahnideen mit rechtsextremen Parolen, rassistischen
Gedanken und Hass aufzufüllen – schließlich begegnet man ihnen immer häufiger, in unserer
Gesellschaft insgesamt, leider wieder auch in den Parlamenten und insbesondere in den sozialen
Netzwerken.
Das eine ist zu trauern. Das andere ist, nach den Konsequenzen für uns selbst zu fragen. Wir sind eine
Schule mit Courage. Wir alle sind gefragt: Wenn wir im Alltag rassistischen Gedanken begegnen,
Courage zu zeigen und „Nein“ zu sagen, dagegen zu halten – mit Argumenten und auch klaren
Gesten, selbst wenn wir in der Minderheit sind. Eindeutig und unmissverständlich zu widersprechen.
Aufzustehen und zu gehen. Oder noch besser: die Rassisten aufzufordern, dass sie gehen. Nicht
mitzulachen, wenn ein Witz über Migranten, Muslime, Juden oder Behinderte gerissen wird. Auf
unsere Sprache zu achten und nicht gedankenloses Zeug einfach nachzuplappern. Chats und soziale
Netzwerke zu verlassen, in denen über andere hergezogen und Hass verbreitet wird. Zu
widersprechen, wenn jemand unseren Kumpel anmacht.
Liebe Schüler*innen, liebe Kolleg*innen, ich möchte euch jetzt bitten, euch von euren Stühlen zu
erheben, für einen Moment zu schweigen und der Opfer des Terroranschlags in Hanau vor einer
Woche zu gedenken.

Liebe Schüler*innen, liebe Kolleg*innen, ich danke euch für eure Aufmerksamkeit.

Johannes Heintges, Schulleiter