rede eleniAm 19.06.2015 feierten unsere AbiturientInnen ihren letzten Abschluss an unserer Schule. Einen besonderen Höhepunkt bildete dabei die Rede unserer Schülerin Eleni Nikolakopoulos Morales, die von den Gästen mit stehenden Ovationen gefeiert wurde. Hier ist die Rede im Wortlaut und als Video.

 

 

Eleni Nikolakopoulos Morales
Die Gesamtschule Kierspe ist einzigartig und vielfältig. Sie gab mir die Chance zur Integration.
Rede auf der Abiturfeier der Gesamtschule Kierspe 19.06.2015

 

Guten Abend,
ich habe gebeten eine Rede halten zu dürfen, weil ich über ein Thema sprechen muss, das mir sehr am Herzen liegt; und das ist Migration. Viele von euch wissen es bereits, für die die es nicht wissen: Ich bin ein Kind mit Migrationshintergrund. Und dasselbe können auch andere meiner Mitschüler über sich sagen.
Als meine Eltern zum Gymnasium gingen, um mich für das neue Schuljahr anzumelden, sagte man ihnen, dass es nicht möglich sein würde. Ich würde die deutsche Sprache nicht beherrschen und deshalb würde ich es nicht schaffen. Die Realschule teilte dasselbe mit. Erst die Gesamtschule Kierspe gab mir die Chance auf Bildung, Hilfe und Unterstützung.
Ich habe bereits, auch schon mehrmals, von anderen Fällen gehört, wo es etwas anders ausgesehen hat. Fälle, in denen Menschen Diskriminierung, Rassismus, Erniedrigung und Mobbing erlebt haben. Und ich war, ehrlich gesagt, völlig geschockt, denn so etwas schien in meiner Welt unvorstellbar, da meine Erfahrungen ziemlich positiv sind. Aber anscheinend gibt es leider so etwas immer noch. Und ich möchte niemanden schlecht reden, aber wir sollten langsam anfangen offen und ehrlich zu sein. Und das werde ich jetzt tun.
Ich kann nicht wie manch einer aus dem Gymnasium behaupten, dass mein Lebenslauf überfüllt ist mit Engagement, Reisen und politischen oder sozialen Aktivitäten. Im Gegenteil, ich kann behaupten, ich sei zu faul gewesen, um zu arbeiten und mich regelmäßig um einen Ferienjob zu kümmern. Ich habe sehr oft „gechillt“ und fast nie meine Hausaufgaben gemacht. Und was ich damit sagen will, ist, dass ich das Gefühl habe, dass heutzutage der Schwerpunkt woanders liegt. Andere Schulen streben nach Perfektion und Aussehen. Ich finde, überall gibt es Druck. Druck, dazu zu gehören, mithalten zu können, gar perfekt zu sein; eine perfekte Entwicklung und Schullaufbahn hinzulegen.
Aber die Gesamtschule Kierspe hat mir einen anderen Schwerpunkt beigebracht: Menschlichkeit. Ich habe hier Menschen aus anderen Schichten kennengelernt. Menschen mit Behinderung. Menschen mit Migrationshintergrund. Menschen, die einfach ganz anders aufgewachsen sind als ich und mir Ansichten gezeigt haben, von denen ich vorher nie gehört hatte. Ich lernte mit ihnen zusammenzuarbeiten und über die Unterschiede hinwegzuschauen. Gesamtschule Kierspe. Das Wort „Gesamt“ steckt darin und es sagt schon alles. Ich habe hier gelernt Toleranz zu entwickeln, Akzeptanz und Respekt. Und seien wir mal ehrlich, ist es nicht das, worauf es auch in der Zukunft ankommt und was eigentlich auch gebraucht wird? Aber nein, so etwas werden Sie nicht in meinem Lebenslauf finden.
Ich kann mir vorstellen, dass viele von euch die Situation mit Migranten ärgert. Ich beschuldige hier keinen. Ehrlich gesagt, ärgere ich mich auch, wenn es darum geht, dass sich manche hier nicht integrieren wollen. Aber was ist mit denen, die sich integrieren wollen, aber nicht können? Ich finde, es sollte mehr Wert darauf gelegt werden, diesen Menschen zu zeigen, dass sie gebraucht werden. Ihnen die Chance, die sie hier haben, zu betonen, und ihnen den Weg zur Gesellschaft zeigen. Dieses Gefühl geben, dass sie dazu gehören. Und die Gesamtschule Kierspe kann das! Zumindest kann ich es aus meiner Sicht vertreten. Ich habe hier von Anfang an so unglaublich viel Unterstützung bekommen, sei es von meinen Lehrern, sei es von meinen Mitschülern. Egal, wie oft es schwer war, sie gaben mich nicht auf. Im Gegenteil, sie sagten mir „Eleni du kannst das“ oder „Eleni du schaffst das“. Wenn es mal etwas schwieriger wurde, gab es auch mal ein „Eleni, wir arbeiten noch daran“. Sie gaben mir Glauben und dafür gab ich Ihnen Leistung und Einsatz. Und so wie ich die ganze Zeit hier ehrlich bin, so muss ich auch laut sagen, dass es mich ärgert, wie andere Schulen so unglaublich viel Anerkennung bekommen, immer auffallen und hervorgehoben werden. Ich finde, für das, was die Gesamtschule Kierspe hier leistet, bekommt sie viel zu wenig Anerkennung. Und deshalb sehe ich es gerade als meine Aufgabe an, sie zu loben und zu verteidigen. Klar, ist sie oft chaotisch und unorganisiert, aber dafür ist sie einzigartig und vielfältig. Sie gab mir die Chance auf Integration. Und aufgrund dieses Erfolgs kann ich sagen, dass ich mich wohl fühle und Deutschland meine Heimat geworden ist. Und ja, mittlerweile besitze ich auch stolz die deutsche Staatsbürgerschaft.
Ich möchte ein Teil dieser Gesellschaft sein, aber vor allem möchte ich mitwirken, sie weiterentwickeln, sie vorantreiben. Und so wie mehr geht es auch vielen anderen, die nur darauf warten, ebenfalls diese Chance zu bekommen.
Einer meiner größten Träume ist, dass das alles irgendwann aufhört. Dass wir uns alle als gleich ansehen können. Ich bin Mexikanerin. Ich bin Latina. Ich bin Griechin. Ich bin deutsch. Ich bin Christin. Sie mag Türkin und Muslimin sein, er hingegen Jude. Und ja, ich sage nicht, dass es irrelevant ist. Schließlich ist es das, was uns ausmacht, aber nicht das, was wir sind. Denn an allererster Stelle dürfen wir nicht vergessen, dass wir alle Menschen sind. Und ich denke, wenn uns dies öfters bewusst werden würde, dann würden jetzt einige Dinge in der Welt ganz anders laufen. Wir neigen oft leicht dazu Menschen einen Ruf zu verpassen oder sie abzustempeln, und die Wahrheit ist, dass sich nicht alle die Mühe geben, sie wirklich kennenzulernen oder zu verstehen. Wir wissen nicht, was in ihrem Leben passiert ist, aber erlauben uns oft das Recht, Vorurteile zu entwickeln. Urteilen ist einfacher als Chancen zu geben. Und das ist eine Gewohnheit, die ich nicht mit mir herumtragen werde und wo ich ebenfalls hoffe, dass sie eines Tages ein Ende nimmt.
Ich weiß, ich bin erst 19 Jahre alt und was müsste ich schon über das Leben wissen? Aber ich finde, man sollte nie den Mut verlieren, das zu sagen, was man sagen möchte und das zu träumen, was man eines Tages erreichen will. Und selbst wenn ich es schaffe, nur einen Einzigen von euch hier zu erreichen, kann ich meine Intention als erfüllt ansehen. Ich bin bloß nur ein Mensch und wahrscheinlich kann ich alleine die Welt nicht verändern. Aber ich sehe es als meine Aufgabe an, weitere mitzureißen, damit wir eines Tages alle zusammenhalten und zusammenarbeiten können, damit wir eine bessere Zukunft kreieren und behaupten können, dass wir es gemeinsam geschafft haben. Wir dürfen nicht vergessen, dass wir die Verantwortung für unsere Zukunft in unseren Händen tragen. Seht ihr? Deshalb ist es so wichtig, „Menschlichkeit“ zu erleben, zu lernen und zu lehren.
Heute möchte ich mich hiermit bei der Gesamtschule Kierspe bedanken, für das Lehren der Menschlichkeit und für das Lehren des Selbstvertrauens. An all die Lehrer, die mich die letzten Jahren begleitet haben, einen herzlichen Dank. Und besonders an die, die meine Entwicklung von Anfang an miterlebt haben. Hiermit ein persönliches Dankeschön an Frau Buchwald Herrmann und an meinem Lieblingslehrer, den ich sehr schätze und liebe: Herrn Koch. Ich möchte mich noch bei einem besonders bedanken. Und zwar bei unserem einzigartigen Oberstufenleiter, Herrn Muck, der mich immer dazu ermutigt hat, ich selbst zu sein, nicht aufzugeben und nach vorne zu schauen. Bei meiner Familie und besonders meiner Mama, die wirklich alles getan hat, damit ich heute hier stehen kann. Und natürlich ein Dankeschön an meine besten Freunde, dafür, dass ihr mich begleitet habt und immer zu mir gehalten habt. Ich liebe euch über alles.
Und am Ende ein Dankeschön an unseren Schulleiter Herrn Heintges. Ich bin etwas länger an dieser Schule und konnte deshalb die Entwicklung dieser Schule miterleben. Sie wurde durchaus moderner und engagierter. Aber ich habe trotzdem noch einen letzten Wunsch, und ich möchte Ihnen, Herr Heintges, das ans Herz legen. Vergessen Sie bitte nie den Schwerpunkt der Menschlichkeit, denn das ist das, was mich hierhin gebracht hat, und das, was ich für den Rest meines Lebens in mir tragen werde.
Dankeschön fürs Zuhören und noch einen wundervollen Abend.
Viel Erfolg und alles Gute!